Karfreitag, 07.04.2023 15:00 Uhr
Georg Philipp Telemann (1681-1767)
"Der Tod Jesu" TVWV 5:6
Traudl Schmaderer (Sopran, Kassel)
Marta Herman (Alt, Kassel)
Hubert Mayer (Tenor, Stuttgart)
Klaus Mertens (Barition, Sinzig)
Mitglieder des Staatsorchesters Kassel
Kantorei Kirchditmold
Regionalkantor Thomas Pieper (musikalische Leitung)
Pfarrer i.R. Dr. habil. Thomas Benner
Einlass ab 14:00 Uhr. Freie Platzwahl. Eintritt frei - Kollekte am Ausgang erbeten.
Der Tod Jesu, Oratorium TVWV 5:6
Im lettischen Staatsarchiv in Riga wurde 2014 eine bislang unbekannte autobiografische Skizze von Telemann gefunden. Geschrieben 1738, nachdem er „vollkommen vergnügt“ aus Paris heimgekehrt ist, blickt Telemann hier mit berechtigtem Stolz – und doch nicht frei von Selbstironie – auf eine Laufbahn zurück, in deren Verlauf die Halbwaise aus einfachen Verhältnissen zum europaweit geschätzten Künstler aufgestiegen war. Sein Resümee am Ende des Vorwortes könnte sehr gut als Motto über Telemanns gesamtem Schaffen stehen: „Enfin, ich habe getrachten, allen etwas nach ihrem Geschmack vorzulegen.“
Das Passionsoratorium „Der Tod Jesu“ entstand viel später, in den Jahren 1754/55, etwa zur gleichen Zeit wie das vielbeachtete gleichnamige Werk von Carl Heinrich Graun. Als Vorlage beider Kompositionen dient das gleiche Libretto von Karl Wilhelm Ramler. Telemann stellt in diesem Spätwerk den sorgsam ausgestalteten Rezitativen bewusst musikalisch reduzierte, feierliche Chöre gegenüber. Damit erreicht er eine gefühlvolle und für seine Zeit modernere Ausdeutung des Passionstextes.
Dass Telemann mit 74 Jahren noch einmal ein Passionsoratorium schreiben würde, dürften die wenigsten seiner Freunde und Bewunderer gerechnet haben. Es war der kollegiale Wettstreit mit seinem Kollegen, der Telemann dazu bewog, sich noch einmal daran zu wagen. Werke dieser Gattung beruhten ausschließlich auf der Textvorlage eines Dichters und wurden in Hamburg zur Erbauung eines zahlenden Publikums in öffentlichen Konzertsälen aufgeführt. Für Telemann wird ein solches Konzertoratorium nach Jahrzehnten des kirchenmusikalischen Pflichtprogramms eine erlösende Abwechslung gewesen sein. Der zwei Jahrzehnte jüngere Graun wirkte als Kapellmeister Friedrichs II. in Berlin und versorgte dessen Hofoper Unter den Linden mit Werken im italienischen Stil. So disputierten Graun und Telemann brieflich über die Vorzüge des italienischen und französischen Stils, wobei der frankophile Telemann die Vorzüge des Letzteren betonte. Aus seinen Ermüdungserscheinungen machte er dagegen keinen Hehl: „Ich habe mich nun von so vielen Jahren her ganz marode melodiert und etliche tausendmale selbst abgeschrieben.“ Der Altmeister war offenbar dringend auf der Suche nach neuen Impulsen und Herausforderungen. Die gesuchte Herausforderung kam in Gestalt des Textes „Der Tod Jesu“, den die Schwester Friedrichs II., Anna Amalie, bei dem Poeten Karl Wilhelm Ramler in Auftrag geben hatte. Ramler schickte seinen Text, kaum dass er fertig war, an Graun zur Vertonung. Und Graun scheint das Libretto an seinen Hamburger Brieffreund weitergeleitet zu haben. Man darf annehmen, dass beide, statt in Briefen nur zu diskutieren, nun ihre Positionen bei der Vertonung derselben Textvorlage demonstrieren wollten. Telemanns „Der Tod Jesu“ wurde am 19. März 1755 im Exerzierhaus der Hamburger Bürgerwache, dem so genannten Drillhaus, uraufgeführt; eine Woche später folgte die erste öffentliche Aufführung von Grauns Version im Berliner Dom. Was die Einteilung der Einzelnummern angeht, sind beide Werke deckungsgleich; was den Stil angeht, spiegeln sie die Vorlieben ihrer Komponisten. Was allerdings den Erfolg angeht, hatte der Berliner bei weitem die Nase vorn.
Solange aufklärerischer Eifer das Denken der Zeitgenossen dominierte, erfreute sich Ramlers Libretto zu „Der Tod Jesu“ größter Beliebtheit. Dass Friedrich II. wenig Sympathie für die Religion hegte, war ein offenes Geheimnis. Im Umfeld des Philosophenkönigs florierte eine neue Theologie, die so genannte „Neologie“, die alles Göttliche am Maßstab menschlicher Vernunft maß. Für Transzendenz, für einen Heilsplan, für die göttliche Natur Christi oder für Gnade und Erlösung blieb darin kein Raum. Jesus wurde nicht länger als Gottes Sohn gedeutet, sondern schlicht als vorbildlicher Mensch, dessen Muster es nachzueifern galt. Der Bericht des Evangelisten sowie die Rollen von Jesus, Pilatus und Petrus entfallen dabei ganz. Der fiktive O-Ton vom Ort des Geschehens soll den Hörer ganz direkt packen und so den Willen stärken, selbst ein besserer, d. h. ein produktiverer Mensch zu werden. Das ideale Vorbild für die Vertonung von Ramlers Text fand Telemann in den pathetischen Rezitativen der französischen Oper. Die Musik, die der Komponist zu den zahlreichen und langen Reportage-Rezitativen komponierte, bleibt eng am Text und dessen Sprachrhythmus. Jede emotionale Nuance wird vom Komponisten genau ausgeleuchtet, wobei die Musik oft den Charakter und sogar das Metrum wechselt. Und so schrieb Telemann an Graun: „Die Tactveränderungen machen dem Franzosen gar keine Schwierigkeit. Es läuft alles nach einander fort, wie Champagnewein. Auch mein nicht hexenmäßiges Orchester schnitte dabeÿ keine Gesichter als ich vor einigen Jahren eine Passion nach selbiger Schreibahrt verfertigte.“
Christiana Nobach (unter Verwendung eines Textes von Ilja Stephan, NDR Hamburg)